Diskurs über digitale Archive
mit dem Leiter des Staatsarchivs Bremen
Prof. Dr. Elmshäuser


An Herrn Prof. Dr. Konrad Elmshäuser
Staatsarchiv Bremen
Am Staatsarchiv 1 - 28203 Bremen

Bremen den 14. Juli 2022 - ein offener Brief

Betr.: Digitale Archive - Die Langzeitarchivierung von ausgesuchten Sub-Domain-Autobiografien bremischer Künstler im Staatsarchiv.

Sehr geehrter Herr Dr. Elmshäuser  -

Seit ich im Jahr 2018 erstmals die Idee an Sie herangetragen habe, den von Ihnen aufgenommenen, analogen Bestand (Signatur StAB 7, 278 Weisser, Michael) durch das digitale Archiv meiner Web-Site zu ergänzen, beschäftigt mich dieser Gedanke nicht nur im Hinblick auf meine eigene Archivierung sondern übergeordnet, weil hier allgemein die Zukunft der Bewahrung und Vermittlung von Geschichte liegt.

Sie schrieben im Vorwort zur Publikation meines Bremen-Projektes: "Das Staatsarchiv Bremen ist, wie alle Archive, mit seinen Beständen eine Brücke zwischen gestern und morgen." Und ich möchte ergänzen: "Aber das Morgen wird ein digitales Morgen sein!"

Aktuell arbeite ich im Rahmen eines 6-monatigen Stipendiums der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und des Deutschen Künstlerbundes e.V. an meiner web-basierten Autobiografie, die exemplarisch die Möglichkeiten dieses neuen Mediums aufzeigen soll.

Diese Arbeit möchte ich gerne aus der Theorie und aus der Vereinzelung in der Praxis und Diskussion bringen und so weit wie möglich öffentlich machen.

Analoge Bücher werden rezensiert und archiviert. Digitale Web-Domains derzeit jedoch noch nicht, obwohl diese die Zukunft der Vermittlung von Informationen sein werden; denn: Die Web-Site ist dynamisch, intermedial vernetzt und kostenfrei global verfügbar. Das analoge Buch dagegen bleibt statisch, ist auf Wort und Bild beschränkt und nur individuell (normalerweise erst nach dem Kauf) verfügbar.

Wir stehen am Anfang der intermedial-vernetzten Web-Domain und diese ersten Ansätze sollten m.E. so schnell als möglich als Dokumente der Zeitgeschichte bewahrt werden! Von wem anderes als einem staatlichen Archiv!

Man kann nicht alles bewahren. Eine Auswahl ist unumgänglich, und die Kriterien lassen sich regional z.B. auf "kreative Künstlerarchive" beziehen, weil Kunst ein ausgezeichnetes kulturelles Erbe darstellt.

Der "Bundesverband Künstlernachlässe e.V." in Berlin argumentiert dazu: "Kunstwerke sind Quellen, Kommentare und Zeugen unseres kulturellen Erbes und Vermächtnisses. Sie leben von einer steten, öffentlichen Wahrnehmung. Werden sie nicht gesehen, studiert und erforscht, bleiben sie unbekannt. Ihre Aussage geht verloren. Nicht selten drohen so wichtige Positionen vor allem der jüngeren Kunstgeschichte ganz zu verschwinden. Ziel und Aufgabe des Künstlerarchivs ist es, die aufgenommenen Kunstwerke als kulturelles Erbe über die Schaffenszeit der Künstler:innen hinaus zu bewahren und öffentlich zu machen."

Diese Initiative arbeitet analog (!) und kann deshalb die selbst gesetzten Ziele nur sehr zögerlich und ohne wirkungsvolle Perspektive umsetzen.

In meinem aktuellen Projekt "Neu:Start" experimentiere ich dagegen mit einer dynamischen Autobiografie, um einen künstlerischen Nachlass mit einem Archiv und einem Inventar zu verbinden, so dass letztendlich ein virtueller Informations- und Erlebnisraum entsteht.

Dieser virtuelle Raum kann, bei Bedarf, um die analogen Exponate in den klassischen Ausstellungsformaten ergänzt werden.

Das Projekt "Neu:Start" soll am konkreten Beispiel meines künstlerischen Gesamtwerks in den Medien Bild, Klang und Wort an der Grenze von analog und digital zu einem Innehalten einladen, es soll die Künstler motivieren zurückzublicken und sich zu reflektieren und die Besucher zum Nachdenken über ihre eigene Geschichte anregen, es soll Mut zum Experimentieren machen und inspirierend für Diskussionen über einen "Neu:Start" in die Zukunft wirken.

"Neu:Start" soll ausdrücklich nicht nur mein persönliches Thema sein! In Zusammenarbeit mit Künstlern in Bremen möchte ich diesen Gedanken aktiv weiter entwickeln und über ein Pilot-Projekt schaffen, für dessen Wirksamkeit ich "Verbündete" suche.

Ihr Staatsarchiv in Bremen ist DER Ort, an dem auf professionelle Weise Geschichte bewahrt wird. Es müsste auch ein Ort für die Geschichte der Kunst in Bremen sein, eine Geschichte, die zu Unrecht völlig vernachlässigt wird. Ich setze auf eine zeitgemäße Kunst, die das "Medium Internet" nutzt und nicht nur sich selbst zeigt sondern auch seine Entstehungsgeschichte. Ich setze auf Kollegen und Kolleginnen, die den Schaffensprozess mit der Reflektion über sich und ihre Arbeit verbinden, die ihre eigene Geschichte erzählen und ihre Kunst darin einbinden.

In diesem erweiterten Verständnis lässt sich ein sachliches Werkinventar durch Bild und Text sinnvoll vernetzen mit virtuellen Erlebnissen wie Atelierbesuche, Interviews und Rezensionen, so dass informative und zugleich unterhaltsame Zeitaufnahmen entstehen, die Geschichte auf neue Weise nicht nur bewahren sondern auch vermitteln wollen.

So ein Projekt  könnte seinen Platz in einem zukunftsgerichteten Staatsarchiv finden, das nicht nur Dokumente inventarisiert und bewahrt, sondern auch dazu anregt, die Geschichte der Dokumente lebendig werden zu lassen.

Grundlegend wichtig für so eine Initiative ist, dass die Domains unter einem öffentlichen, professionell arbeitenden und kompetenten "Träger" gesammelt werden aber dennoch selbstständig, dynamisch bleiben und damit im Alltag des World-Wide-Webs stehen.

Hier gilt es, einen zukunftsorientierten Weg zu finden, der Archivierung mit globaler Vermittlung verbindet,

Die Frage nach dem Hosting der Web-Sites ist für den Anspruch eines Archivs grundlegend wichtig. Welche Anforderungen müssen gestellt werden? Sind Anbieter wie z.B. IONOS, deren eigene Backups in der Cloud mittlerweile als sicher gelten können, ausreichend?

Lässt sich eine parallele Langzeitsicherung zudem über ein eigenes Backup auf HD und

Gern würde ich meine langjährigen Erfahrungen einbringen und ein Konzept für eine zeitgemäße Archivierung und Vermittlung speziell von ausgesuchten Künstlerarchiven in Bremen entwickeln.

Stößt diese Idee auf Ihr Interesse?

Sie finden mein Projekt in einem steten Wachstumsprozess unter:

https://www.rice.de/Neustart

I n der Hoffnung auf Ihre Meinung verbleibe ich Michael Weisser

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Elmshaeuser, Konrad (Staatsarchiv)
 <konrad.elmshaeuser@staatsarchiv.bremen.de>
An:MikeWeisser
Thu Jul 28 2022 17:24:21 GMT+0200 (CEST)

Lieber Herr Weisser,

ich komme auf Ihre Mail und Ihre Bitte bzw. Ihr Projekt zurück, Sub-Domain-Autobiografien bremischer Künstler im StA in die Langzeitarchivierung zu übernehmen.

Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass die Zukunft der Archive wie Sie richtig sagen (auch und immer mehr) digital sein wird. Dies schon allein, weil die öffentlichen Verwaltungen zunehmend auf digitale Medien (e.-Akte) als  rechtserhebliche Überlieferungsform zurückgreift und uns diese Überlieferung zur Archivierung zugehen wird. Hierüber haben wir uns ja bereits mehrfach ausgetauscht.

Noch beschäftigt uns aber mehr als genug die analoge und hybride Überlieferung, für die wir demnächst sogar ein neues Magazin bauen werden. Wir versuchen dabei nach Kräften neben der amtlichen Überlieferung auch die nichtamtliche Seite abzubilden – hierzu gehören Privatleute, Firmen, Verbände etc. Auch Künstler gehören hierzu, auch wenn die Übernahme von Künstlernachlässen, wie ich mehrfach feststellen musste, bereits im analogen Bereich für Archive mehr als schwierig ist. Wir haben daher diesen Bereich nie systematisch bespielt, dazu sind unsere Ressourcen einfach bei weitem nicht ausreichend. Für den gesamten nichtamtlichen Bereich ist bei uns eine  Person – Herr Dräger – zuständig. Und er muss bei derzeit fünf nicht besetzten Planstellen (von insgesamt 20), ständig in anderen Bereichen aushelfen.

Insofern sind wir froh, wenn es Initiativen wie den von Ihnen genannten Bundesverband Künstlernachlässe gibt. Diese (und oftmals Museen) und nicht staatliche Archive sind der Ort, dem Künstler ihre Bestände anvertrauen.

Daher muss ich Ihnen widersprechen, denn wir sind nicht der Ort für die Geschichte der Kunst in Bremen. Dies gehört allenfalls am Rand zu unserem Profil und würde uns überfordern.

Auch die technischen Fragen, die sich an das Konzept anschließen, haben wir hier besprochen und müssen feststellen, dass wir das von Ihnen angedachte Hosting nicht verantwortlich zusagen können. Hierzu waren Sie ja auch bereits mit Herrn Pordzik im Austausch.

Ich bedaure, dass wir Ihren Projekten nicht wie von Ihnen gewünscht nachkommen können und Sie enttäuschen müssen.

Angesichts der geschilderten Rahmenbedingungen ist dies aber nicht anders machbar.

Ich hoffe, es geht Ihnen gut und bin wie immer

Ihr Konrad Elmshäuser

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MikeWeisser <mikeweisser@yahoo.de>
An:Elmshaeuser, Konrad (Staatsarchiv)
Sat Jul 30 2022 09:20:34 GMT+0200 (CEST)


Lieber Herr Elmshäuser.

Haben die vielen Dank für die schnelle und offene Reaktion. So sehr ich es generell bedaure, dass ihren Möglichkeiten, als Archiv in unserer Frage der Ausweitung auf digitale Präsenz, Grenzen gesetzt sind so sehr kann ich die faktischen Gründe nachvollziehen.

Ich habe Ihr Staatsarchiv bei meinen Publikationen zum Riensberger Friedhof, zur Familie Leisewitz und auch zu meinem aktuellen Themen-Cluster Lüder Rutenberg, die Geschichte des Alt-Bremer-Hauses und die Entwicklung der Bauästhetik in der östlichen Vorstadt, immer als einziges (!) Archiv in Bremen in den Qualitäten freundlich, engagiert und hoch kompetent erlebt. Dafür ausdrücklichen Respekt und Dank. 

Gern sähe ich für die Bewahrung der Geschichte der Zivilgesellschaft in Bremen und darin auch der kreativen Kunst unsere Stadt, mehr historische Dokumente bewahrt, und gern sähe ich Experimente mit zeitgemäßen Vermittlungstechniken und -formen, um Geschichte für kommende Generationen zu einem spannenden Thema zu machen. 

Aber Sie haben völlig recht:
Es ist nur Machbar, was Machbar ist, und hier arbeitet ihr kleines Team schon sehr-sehr weit über dem zu Erwartenden hinaus. Das konnte ich immer wieder konkret erleben. 

In diesem Sinn bedauern wir beide die pragmatischen Grenzen, die uns leider gesetzt sind. 

Mit besten Grüßen an Sie und Ihr Team
verbleibe ich - bis bald einmal wieder Ihr 

Michael Weisser

Der Link zur aktuellen Rutenberg-Publikation:

https://www.rice.de/RUTENBERG/SEITEN/Index.html

Ästhetische Feldforschung
Michael Weisser
0049-171-7418374

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Michael Weisser © Bremen 2022

www.MikeWeisser.de

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