Der Riensberger Friedhof in Bremen
Feldforschung von Michael Weisser
Katja Stelljes - Steinbildhauerin



Bremen, den 4.12.2020
Hallo Katja – dein Name ist mir begegnet als ich mich mit unserem Künstler-Kollegen Jup Mönster über dessen Patenschaft eines historischen Grabsteins ausgetauscht habe. Er hat im Jahr 2019 einen alten Stein übernommen und dir diesen rund 150-jährigen Stein zur Restaurierung übergeben. Hattest Du bereits Erfahrungen mit der Aufarbeitung historischer Steine im Sinn von Patenschaften?
Zum Interview mit Jup Mönster >>>
KS: Ich habe noch keinen Stein, der in Patenschaft übernommen wurde, bearbeitet. Aber ich beschäftige mich sehr intensiv mit alten Grabsteinen und entwickle sowohl in meiner freien Arbeit Objekte aus alten Grabsteinen, als auch mit Angehörigen, die ihre Grabstellen auflösen und den Stein nicht entsorgen lassen wollen.


Du kennst dich sicher auch auf anderen Friedhöfen aus. Ist der Gedanke der Patenschaft in Bremen entstanden? Oder gab es diesen Gedanken bereits vorher in anderen Städten?
KS: Meines Wissens nach gibt es die Möglichkeit Patenschaften für alte Steine zu übernehmen auch in anderen Städten
.

Was war am Stein von Jub zu restaurieren? Um was für ein Material handelt es sich? In welchem Zustand war er nach dem Transport in deine Werkstatt und was hast Du daraus letztlich gemacht?
KS:Der Stein ist in mittelmäßigem Zustand gewesen, oben gab es einen großen Riss, Ecken waren abgedrückt. Es ist Obernkirchener Sandstein. Ich habe den Stein zunächst gereinigt, die Risse verfüllt und dann ein Dach aus Blei, von der Firma Schwedhelm & Sohn GmbH fertigen lassen. Dann haben wir eine kleines Häuschen an der Stelle des alten Kreuzes, das nicht mehr vorhanden war, platziert.


Ich habe mir den Stein auf dem Riensberger Friedhof in der Grablage B 0488 vor einigen Tagen angesehen. Und ich habe eine "Frottage" von der Inschrift angefertigt. So sieht diese aus! Es war ein Stein für die Familie "Schnakenberg".
Für wie alt schätzt Du ihn anhand welcher Kriterien?
KS: Laut Aussage von Irma Gerken (Leiterin des Riensberger Friedhofs) hat der Stein vorher auf einem anderen Friedhof gestanden und ist einer der ältesten Steine auf dem Riensberger Friedhof.



Wie wird die neue Inschrift technisch aufgebracht, wenn Jub hier einmal seine letzte Ruhe findet? Gibt es dazu jetzt schon eine Vorgabe?
KS: Wir wollen die Marmorplatte erhalten und werden eine Glasplatte mit der neuen Inschrift davor setzen.

Wie bewertest Du generell die Idee, alte Grabsteine nach ihrem Auslaufen für die Nachwelt zu erhalten. Ist eine Patenschaft trotz der notwendigen Veränderung (neue Namen) ein sinnvoller Weg?
KS:Ich finde, das es ein Weg ist, der für Familien und Angehörige attraktiv sein kann.


Empfindest Du die Bearbeitung so eines alten Steines als Konkurrenz für deine eigene Kreativität, Neues zu entwickeln?
KS: Ich finde es spannend mich mit der vorhandenen Substanz auseinander zu setzen. Ich arbeite ja immer mit den Vorstellungen meiner Kund*innen, wenn es also um einen historischen Stein geht, ist es einfach eine weitere Vorgabe, die ich mit in meine Entwürfe einbeziehe.

Du nennst dich Steinbildhauerin. Bis Du auf den Stein als Material fixiert oder arbeitest Du auch mit Hölzern und mit Metallen?
KS: Ich arbeite hauptsächlich mit Stein kombiniere den aber gerne mit anderen Materialien. Z.B. Metall, Glas und manchmal auch Holz.
Bist Du formal oder inhaltlich auf bestimmte Formen der Motive spezialisiert? Hast Du eine eigene Handschrift entwickelt?
KS: Ich glaube das ich eine eigene Handschrift habe aber mein Hauptaugenmerk in der Arbeit für Kund*innen liegt darin, einen Weg zu finden, eine Form für deren Vorstellungen zu finden. Damit für sie eine gute Verbindung zu dem Grab auf dem Friedhof entsteht.
Wie war dein beruflicher Werdegang?
KS: Geboren bin ich 1969 in Delmenhorst. Die Ausbildung zur Steinmetzin und Steinbildhauerin erfolgte 1992-1995. Von 1995-1998 habe ich als Gesellin gearbeitet, dann von 1998-2000 die Fachschule für Steingestaltung in Freiburg besucht und als Steinmetz- Steinbildhauermeisterin und Gestalterin im Steinmetzhandwerk abgeschlossen. Seit 2000 habe ich in verschiedenen Steinmetzbetrieben in Tübingen und Bremen gearbeitet, 2006 die Aufnahme in den Verband AKB (Angewandte Kunst Bremen) beantragt und seit 2010 arbeite ich selbstständig in meiner Werkstatt an Unikaten aus Stein.
Hat sich dieser Beruf für dich als der „richtige“ bis heute erwiesen? Erfüllt dich diese Arbeit? Was ist das Besondere daran?
KS: Als Steinmetzmeisterin und Gestalterin setze ich mich mit der Gestaltung von Orten und Objekten auseinander, die an einen Menschen erinnern. Der Friedhof ist für mich ein alltäglicher Ort. Ein Ort an dem unsere Vergänglichkeit sichtbar wird, in einem Alltag, der oft darüber gerne hinweg täuscht, dass es ein Ende gibt.
Wie heilsam und sinnstiftend die Auseinandersetzung mit der Gestaltung einer Grabstelle sein kann, zeigt mir die tägliche Arbeit in der Werkstatt.

Es geht nicht nur um ein Handwerk und um einen Beruf und um Gelderwerb sondern eigentlich geht es dir um Leben und Tod als Kern der Philosophie mit dem Du dich beschäftigst - oder?
KS: Mit dem Tod endet unsere körperliche Existenz. Was folgt darauf? Jahrhunderte war die Vorstellung dessen, was dann kommt und was dann zu tun ist, völlig eindeutig. Die Religion schuf ein festes Korsett an Ritualen und Vorstellungen. Das ist vorbei! 
Ein ganz wichtiger Teil deiner Arbeit ist demnach das Gespräch mit Menschen über die Unabdingbarkeit des Endes. Obwohl der Tod das Natürlichste im Verlauf eines Lebens ist wird dieses Thema vehement verdrängt, übergangen und mit Ablehnung belegt. Wie gehst Du in Gesprächen vor wenn die Trauer alles überwiegt?
KS: Meistens kommen Menschen zu mir, die schon einen gewissen Abstand zu dem Todesfall gefunden haben. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Gespräch plötzlich nicht mehr möglich war, weil die Trauer alles unmöglich macht. Natürlich wird auch geweint aber das ist ja auch richtig. Ich glaube es ist sehr hilfreich, dass es bei mir ja um etwas ganz konkretes geht. Nämlich die Gestalt des Grabsteins und der ist ja am Ende sogar greifbar, in all der Uferlosigkeit in die Trauer einen Menschen ja stürzen kann.

Aber es wäre doch viel sinnvoller jeder macht sich erst einmal für sich selbst Gedanken wie man beerdigt sein will und teilt seine Gedanken den Nächsten mit um diese nicht allein mit den Fragen zu lassen. Oder?
KS: Ich glaube, es ist in jedem Fall hilfreich, sich Gedanken über die eigene Sterblichkeit zu machen. Auch darüber, wohin mit mir, wenn ich tot bin. Aber gerade vor Kurzem habe ich mit einem Kunden darüber gesprochen, was für eine gute, evt sogar versöhnende Aufgabe es für ihn war, für seine Frau mit mir zusammen eine Grabsteingestaltung zu entwickeln.
Kommen Menschen wie Jub Mönster zu dir und sprechen ihr eigenes Thema an? Oder überlässt man diese unangenehmen Fragen eher der Familie und befreit sich davon?
KS: Menschen, die zu mir kommen sind meistens auf der Suche nach etwas, was ihnen mehr bietet, als die „normale“ Gestaltung. Deshalb gibt es eine große Offenheit über die sogenannten letzten Dinge zu sprechen.
Was bedeutet eine Grabstelle, ein Grabstein, eine Inschrift?
KS: Es ist ja zunächst ein Zeugnis für ein gelebtes Leben. Wenn ich nach einer intensiven Auseinandersetzung mit Angehörigen den Stein aufgestellt habe, denke ich, es ist auch das letzte Geschenk, was ich einem Menschen machen kann. Mit dem Tod endet unsere körperliche Existenz. Die Beziehungen enden nicht. Grabstätten sind Orte, an denen die Beziehungen eine neue Gestalt bekommen. Es gibt einen sichtbaren Ort dafür, dass etwas zu Ende gegangen ist, und es gibt den sichtbaren Ort dafür, dass etwas fortbesteht. 

Es geht der Steinbildhauerin um die Form, mit man der Beziehung zu andere Menschen einen Ausdruck gibt. Die Form ist zweifach zu sehen zwischen dem Verstorbenen und dem in Trauer Lebenden. Müssten dann nicht beide Seiten schon vorher über das Thema sprechen und eine Abstimmung vornehmen? Passiert so etwas in der Praxis?
KS: Ja, manchmal haben Menschen sehr genau abgestimmt, wie sich das Begräbnis und auch das Grab vorstellen. Manchmal suchen Menschen auch schon zusammen einen Grabplatz aus. Das kann sicher sehr hilfreich sein, weil sich die/der Trauernde nicht auf den beschwerlichen Weg machen muss, eine Form zu finden, die auf der einen Seite angemessen für die eigenen Bedürfnisse ist und auf der anderen Seite den Vorstellungen des Verstorbenen entspricht.
Dafür eine Form zu finden, ist ein Prozess; diesen Prozess können wir gestalten. Ein Friedhof ist ein Ort, der Raum dafür bietet, tatsächlich oft viel mehr Raum, als wir annehmen, weil wir das Bild eines uniformen Friedhofes vor Augen haben, mit Gräbern, die alle gleich aussehen. Das muss aber nicht so sein, die Spielräume sind groß. Diese Chance sollten wir nutzen!
Siehst Du das Grabmal als Ausdruck eines Prozesses, in dem es eigentlich um Zeichen der Gemeinsamkeit geht, um Zeichen der Erinnerung, der Wertschätzung? Also spielt die historische Repräsentation der verstorbenen Person nach außen heute keine nennenswerte Rolle mehr sondern im Mittelpunkt steht der persönliche Bezug, der Abschied, die Erinnerung an gemeinsam Erlebtes? Bei so einem Gespräch unter Lebenden kann eine ganz neue Qualität der Beziehung entstehen, sollte man so etwas nicht nutzen?
KS: Ich denke es gibt alle Zugänge, es gibt auch noch diesen Wunsch nach Repräsentation. Vielleicht nicht so sehr in unserem hanseatischen Umfeld. Ich persönlich finde, dass es um eine persönliche Aneignung dieses Raumes geht. Und da muss jede*r gucken, was der eigene Zugang ist.


Wird die Möglichkeit einer derart emotionalen Aufarbeitung von deinen Kunden wahrgenommen? Gewinnen deine Kunden eine Beziehung zum Grabstein? Bist Du demnach nicht nur Steinbildhauerin sondern gestaltest im Gespräch eigentlich den Akt der Trauer? Wie ist deine Erfahrung?
KS: Meine Arbeit ist gelungen, wenn diese Beziehung zwischen Angehörigen und Grabstelle/stein entsteht. Ich hoffe, dass das oft geschehen ist! 
Ein ganz besonderes Grab ist das für Kinder. Ich habe bei vielen Gängen über den Riensberger Friedhof immer wieder die Fülle der persönlichen Details wahrgenommen, mit denen Eltern und Geschwister den Tod ihrer Jüngsten betrauern. Wie stehst Du zum Kindergrab?
KS: Die Gestaltung der Grabmale für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ist eine besondere Aufgabe. Gerade der Umstand, dass der Verlust eines Kindes für die Eltern ein unbeschreiblich schmerzliches Ereignis darstellt, sollte aus dem Grabmal eine Stätte des Trostes machen. Kindergräber brauchen eine eigene Formensprache, noch weniger als bei den anderen Steinen bietet das übliche Formrepertoire einen angemessen Halt für die Trauernden. Wir arbeiten bei der Gestaltung immer eng mit den Eltern zusammen. Nur mit ihnen können wir all das berücksichtigen, was wichtig war im Leben des Kindes. Nur im Gespräch zeigen sich Ansatzpunkte für die grundlegende Gestaltung der Grabstätte.
Du sprichst vom WIR, wer ist damit gemeint?
KS: Ich arbeite mit meinem Mann Peer Steppe zusammen. Er ist wie ich Steinmetzmeister und Bildhauer. Darüber hinaus bin ich mit ca. 10 Steinmetzen in ganz Deutschland vernetzt, die alle die gestalterische Auseinandersetzung mit dem Friedhof als kulturelle Stätte zu ihrem Schwerpunkt gemacht haben. Und in Bremen bin ich in der AKB, dem Berufsverband der Kunsthandwerker*innen.

Du arbeitest in einem Atelier. Wie siehst Du diesen Ort, an dem sich deine Kreativität entfaltet und an dem Du Aufträge bearbeitest? Wie sieht es aus und was bedeutet es dir?
KS: Als ich mich mit meinem Mann selbstständig gemacht habe, hatte ich Bedenken, ob meine Selbstständigkeit fern eines Friedhofs funktionieren kann. Heute bin ich total froh darüber, nicht am Friedhof zu sein. Mein Radius ist dadurch weiter und nicht so fokussiert. Auch habe ich den Eindruck, dass es für meine Kund*innen ein guter Ort ist, der auch ihnen eine Perspektive über das enge Friedhofsumfeld hinaus ermöglicht.

Gibt es einen Plan vom Riensberger Friedhof in dem die von dir gestalteten Grabsteine mit den Daten der Erstellung verzeichnet sind?
KS: Nein leider nicht. Aber die Idee finde ich gut. Damit werde ich meinen Sohn Bela Steppe mal beauftragen.
Wie siehst Du die Zukunft des Grabes in der fortschreitend virtuellen, abstrakten, technisch geprägten und digital-vernetzten Gesellschaft?
KS: Ich glaube, wir Menschen brauchen reale Orte, deshalb glaube ich an die Zukunft der Bestattungskultur. Möglicherweise nicht mehr in der Form, wie wir sie heute kennen, das anonyme Massengrab wird sicher eine große Rolle spielen, wie es das ja auch in Epochen vorher tat. Aber ich glaube es wird das Bedürfnis weiterhin geben, der Nachwelt  ein Zeugnis der eigenen Existenz zu übermitteln. 

Hast Du konkrete Vorstellungen zu deinem eigenen Grab? Auf welchem Friedhof siehst Du dich? Und was ist danach....
KS: Die Frage ist schwierig. Nein, ich bin voller Zuversicht, dass meine Angehörigen einen guten Weg für sich und mich finden werden. 


Katja - hab vielen Dank für deine offenen Antworten. MfG Mike.

#

Intermediale Heimatforschung und Quellensammlung
als zeitgemäßer Beitrag zur Sepulkralkultur.
Mehr >>>