Bremen - Der Riensberger Friedhof
Statements von Zeitzeugen:

Auf diese Anfrage
erfolgte trotz freundlicher
Erinnerung keine Reaktion!

#

Frau Irma Gerken
Riensberger Friedhof - Friedhofsleitung

Umweltbetrieb Bremen
Friedhofstraße 51 - 28213 Bremen

Bremen, den 7.7.2020
Betr: Fragen zum Riensberger Friedhof

Sehr geehrte Frau Gerken –

Nachdem ich für mein Kunstprojekt in den vergangenen Wochen im Staatsarchiv Bremen, im Landesamt für Denkmalpflege und an anderen Stellen die Literatur und besonders die Quellen zum „Riensberger Friedhof“ sichten konnte, hat sich ein guter Überblick über die historische Entwicklung ergeben.

Ich möchte jedoch nicht nur in der Vergangenheit suchen und die Geschichte des Friedhofs durch die vorhandene Literatur und durch Quellen rekonstruieren, sondern auch in der Gegenwart bestehende, wichtige „Quellen“ in Text und teilweise auch im Ton erfassen.

Mir geht es um die Entwicklung einer zeitgemäßen Form von Heimatforschung aus deren Ergebnissen ich versuche, den „Spirit“ des Ortes zu erfassen. Das Interesse der Institutionen Staatsarchiv und Landesamt für Denkmalpflege geht dahin, diese digital und intermedial vernetzte Dokumentation nutzen zu können.

Am „Ende“ der Arbeit geht es mir (bei aller Forschung) um ein intermediales Gesamtkunstwerk der Transformation und Verdichtung, das analog und digital zur Verfügung stehten wird.

Diesen Hintergrund schildere ich ihnen, weil ich damit eine dringliche Bitte an Sie verbinde.

Geplant ist, auch ZEITZEUGEN in das Projekt einzubinden und SIE gelten als profunde Kennerin der Friedhofsgeschichte. Deshalb möchte ich gern ein Interview mit ihnen führen und um Beantwortung einiger Fragen bitten. Dies ist nicht als offizielles Statement der Verwaltung zu sehen, sondern als Aussagen einer kenntnisreichen Zeitzeugin.

In der Hoffnung auf ihre freundliche Hilfe und Mitarbeit formuliere ich nachfolgend meine Fragen, deren Antworten Sie der Einfachheit halber direkt in den Text nach „IG:“ einfügen können:

MW: Seit wann sind Sie, Frau Gerken, die Leiterin des Riensberger Friedhofs und was für einer Ausbildung bedarf es um so ein Amt zu führen?  

IG:

MW: Ein Friedhof ist ein ganz besonderer Ort, weil es hier um die sensible Verbindung von tiefer Emotion und planender Rationalität geht. Gibt es im Verlauf ihrer langjährigen Tätigkeit für Sie ein ganz besonderes und persönlich berührendes  Erlebnis, das Sie mit diesem Ort der Trauer, des Abschieds, des Verlustes und Schmerzes verbindet?

IG:

MW: In der regionalen Presse habe ich gelesen, dass Sie auch Führungen über den Friedhof anbieten. In welchem Rahmen findet so eine Aktion statt, wie wird so ein Angebot angenommen und was zeigen und erzählen Sie den Teilnehmern?

IG:

MW: Der Riensberger Friedhof blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, denn er hängt Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer grundsätzlichen Diskussion über die Zukunft des Bestattungswesens in der Hansestadt Bremen zusammen. Es ging damals um eine Vision in die Zukunft, in der wir heute leben.
Im Sommer 1872 wurde der Auftrag an den Gartenkünstler Carl Jancke jun. aus Aachen vergeben. Sein hoch gelobter Plan stand unter dem Motto
„Der Friedhof soll in uns kein Gefühl des Grauens vor dem Tode erzeugen, sondern in sinniger Verbindung mit anmuthigen Naturgegenständen uns aussöhnen mit unserem Schicksal und neue Hoffnungen in uns wecken.“
Wie sehen Sie dieses Motto nach mehr als einhundert Jahren? Hat es sich bis heute im Riensberger Friedhof erfüllt?

IG:

MW: Die historische „Hamburger Garten- und Blumenzeitung“ aus dem Jahr 1873 schrieb über die Anlage in Riensberg: „Am Friedhof kann man den Kulturzustand einer Stadt erkennen.“ 
Was können Sie über den Riensberger Friedhof aussagen wenn Sie den Zeitraum von der Eröffnung im Sommer 1875 bis heute im Sommer 2020 zusammenfassen?

IG:

MW: Das Landesamt für Denkmalpflege hat im Jahr 1977 für den Riensberger Friedhof eine Liste von 79 „denkmalwerten Grabdenkmalen“ erstellt.  Im Jahr 2010 hat Ingrid Weibezahn diese Liste redigiert und eine Expertise mit detaillierten Beschreibungen dazu verfasst. Weiterhin gibt es aus den Jahren 1977/78 eine Sammlung von Fotografien der wichtigsten Denkmäler des Friedhofs.
Auf dieser Grundlage hat der Denkmalpfleger Dr. Kirsch 2010 eine offizielle Würdigung seines Amtes zum Gesamtkonzept „Friedhof Riensberg“ (ineins mit dem Friedhof in Walle) in den Details formuliert und abschließend festgestellt:
„Der Riensberger Friedhof ist ein Kulturdenkmal gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Denkmalschutz“, aus den oben dargelegten wissenschaftlichen (gartenkunstgeschichtlichen, friedhofskulturgeschichtlichen Gründen als früher und bedeutender Parkfriedhof und Friedhof im „gemischten Stil“), heimatgeschichtlichen (Bestattungsort lokalgeschichtlich bedeutender Personen, bedeutendes Zeugnis der Neuordnung des Bremer Bestattungswesens im späten 19 Jh.) und künstlerischen Gründen (künstlerisch außerordentlich qualitätvolle Gesamtplanung, zahlreiche Grabstätten von künstlerischer Relevanz). Die Denkmalgründe erreichen ein Gewicht, das die Erhaltung des Friedhofs im öffentlichen Interesse gelegen sein läßt.“
Ist diese hohe Bewertung ihres Friedhofs nicht zugleich eine große Verpflichtung und auch eine Bürde für die Verwaltungsarbeit? Welche administrativen Konsequenzen hat so eine „Unter-Denkmalschutz-Stellung für die Friedhofsverwaltung ?

IG:

MW: Seit der Aktivität der Denkmalpflege im Jahr 1977 bis heute sind 43 Jahre vergangen. Müssten nach so einem langen Zeitraum nicht neue Kriterien entwickelt werden, die den heutigen Ansprüchen an „Zeitzeugen“ zur Kulturgeschichte der Friedhöfe gerecht werden?
Was wären aus ihrer persönlichen Sicht sinnvolle Kriterien für den konservatorischen Schutz von Grabsteinen bzw. von Grabanlagen? Was kann ein Friedhof aussagen? Was sollte ihrer Meinung nach für die Nachwelt bewahrt werden?

IG:

MW: Was unter Schutz gestellt wird muss in den Jahreszeiten gepflegt, d.h. beschnitten, bepflanzt  und in größeren Abständen auch restauriert werden.
Wem „gehören“ die unter Denkmalschutz gestellten Gräber? Der Stadt? Oder den Familien? Und wer kommt für die laufenden Kosten auf?

IG:

MW: Im 19. Jahrhundert war es noch üblich, dass die Grabstellen von Interessenten gekauft wurden. Verstehe ich das richtig, dass die kleinen Grundstücke damit rechtlich in das Eigentum der jeweiligen Käufer übergegangen sind?
Wie sind diese Eigentumsanteile der Gräber im Verlauf der Zeit an die Stadt zurückgegangen?

IG:

MW: Heute werden Grabstellen nicht mehr gekauft sondern für eine bestimmte Dauer "gemietet". Wie sind die Kriterien und wie gestaltet sich der Ablauf? Könnte ich heute schon meine Grabstelle auf dem Friedhof mieten und dabei auch ganz konkret den Ort auswählen?

IG:

MW: Als Mieter eines Platzes wird man sich verpflichten müssen, die Grabstelle in einem „ordnungsgemäßen“ Zustand zu halten. Das kann man vermutlich selber übernehmen oder aber eine Gärtnerei damit beauftragen mit der man einen entsprechenden Vertrag abschließt.
Wie reagiert die Friedhofsverwaltung, wenn jemand keinen Vertrag mit einem Dienstleister abschließt und das Grab nicht entsprechend pflegt sondern "verwahrlosen" lässt. Wird so eine Stelle „gekündigt“? Und was wird von Seiten der Verwaltung unternommen wenn keine zustellbare Adresse vorliegt?

IG:

MW: Verfügt die Friedhofsverwaltung über ein eigenes Archiv, in dem historische Unterlagen zur Entstehungsgeschichte des Ortes sowie zum Wachstum, zu Veränderungen und zur Lage der einzelnen Gräber auf dem sehr großen Areal gesammelt sind?

IG:

MW: Bei meiner Fotografie hatte ich erhebliche Schwierigkeiten bei der Orientierung auf dem Areal. Die Grabfelder sind durch die Wege und die Eckmarkierungen durch Buchstaben in verankerten Steinen definiert aber die Kennzeichnungen der Gräber (Zahlensteine an den Rückseiten) sind nicht in nachvollziehbarer Abfolge vergeben.
Ich kann in Kenntnis der offiziellen Grablage (Buchstabe/Nummer) zwar das Feld finden, aber nicht den Grabstein. An manchen Gräbern sind sogar mehrere Steine mit verschiedenen Nummern - dies ist sicherlich der Begräbnis-Praxis geschuldet.
Gibt es eine Orientierung, nach der sich jeder Name eines Grabsteins seinem Ort in einem Gesamtplan zuordnen lässt? Praktisch gefragt: Können Sie mir sagen wo genau das Grab z.B. von „Andreae“, "Henschen", oder Frese/Soltmann“ oder Zurborg“ oder Schütze/Theye“ zu finden ist?

IG:

MW: Auf vielen Gräbern finden sich kleine Plaketten am Rand in den Boden gesteckt. Auf diesen farbigen Plaketten sind unterschiedliche Zeichen graviert. Was für eine Bedeutung haben diese Zeichen?

IG:

MW: Was liegt unter den schweren Steinplatten auf einigen historischen Gräbern wie bei Isenberg, Kulenkampff, Olbers, Pavenstedt, Schütte und von Kapff? Führt hier eine Treppe in eine Gruft? Ist dieser Grabraum gemauert und enthält Metallsärge? Oder wird hier eine Sammlung von Urnen der jeweiligen Familie bewahrt?

IG:

MW: Welche Funktion haben in diesem Zusammenhang die kleinen Metallrohre mit Haube, die am Rand des Grabfeldes wie ein überdimensionaler Pilz aus dem Boden ragen (z.B. vor dem Rutenberg-Mausoleum rechts gelegen)? Ist das der Ausgang einer Belüftung?

IG:

MW: Was befindet sich in den mit Türen verschlossenen Mausoleen von Rutenberg, Bautz&Duckwitz, Erdmann&Jesnitzer und Buhlmann&Schmidell?

IG:

MW: Und wie verhält es sich mit den über der Erde stehenden Sarkophagen von Bünning, Finke und von Post?

IG:

MW: Direkt am Riensberger See gelegen befindet sich ein kleines Bauwerk, das wie eine gothisierte Kapelle anmutet. Es wird sich um ein Mausoleum handeln, das vom Efeu fast eingewachsen ist. Was ist in diesem Bauwerk ohne Aufschrift verborgen?

IG:

MW: Zurück in die Gegenwart.  Wie hoch war die Anzahl der Verstorbenen in der Stadt Bremen in Jahr 2018 (oder 2019)? Und wie viele wurden auf dem Riensberger Friedhof beerdigt? Wie viele davon als Erdbestattung und wie viele in Form von Urnen? Sehen Sie eine Tendenz für die Zukunft, was die Menge der Bestattungen angeht?

IG:

MW: Im Verlauf der Geschichte hat ein Wandel im Umgang mit dem Tod und dem Akt der Beerdigung stattgefunden. Wohlhabende Familien des 19. Jahrhunderts, insbesondere Kaufleute, Industrielle und auch Mitglieder des Bildungsbürgertums, wählten repräsentative Formen wie Mausoleen, Gruften, hoch aufragende Obelisken und Säulen, von Steinhauern oder bekannten Künstlern aus dem Stein gearbeitete Stelen die mit sakralen Bildern, antiken Allegorien oder Portraitplaketten geschmückt wurden, um den intellektuellen Status und den finanziellen Reichtum zu demonstrieren, sowie den Verstorbenen auf besondere Weise zu ehren.
Die Verdrängung des Ornaments, die im frühen 20. Jahrhundert mit dem Art Deco bzw. mit der „Reformbewegung“ einsetzte hat sich weiter entwickelt bis zur heutigen Schmucklosigkeit.
Wie sehen Sie die Zukunft des Grabsteins in einer Zeit, die von der klassischen Erdbestattung abkommt und sich zur Urnenbestattung bis hin zur anonymen Ausstreuung der Asche in einem Friedwald oder in der offenen See wandelt. Der beanspruchte Platz wird immer kleiner. Die Person des Verstorbenen wird anonymisiert.
Provokant gefragt: Könnte die Bestattung von Übermorgen in der Pressung der Asche zu einem kleinen Diamanten enden?

IG:

MW: Einige neuere Grabsteine sind sehr dicht, meiner Auffassung nach viel zu dicht, an historische Grabanlagen gesetzt und stören den freien Blick, den diese Kunstwerke eigentlich zu ihrer Wirkung benötigen.
Wie ist es möglich, dass so etwas vorkommt? Wer bestimmt über die Frage, wohin ein neues Grab in welcher Größe und in welcher Nähe an andere (vornehmlich an denkmalgeschützte Gräber) gesetzt werden?

IG:

MW: Am Eingang zum Friedhof ist unter "Informationen" auch ein Flyer ausgehängt der den Titel trägt: „Ein Denkmal für Sie. Helfen Sie historische Grabmäler zu bewahren.“
Mit der Patenschaft erhält der Interessent „die Möglichkeit, eines dieser wunderschönen Grabmäler für sich selber zu wählen“. Könnte ich demnach z.B. als Pate das Mausoleum von Erdmann&Jesnitzer übernehmen und die Urnen meiner Familie dort im Verlauf der Zeit einstellen?

IG:

MW: Offensichtlich werden kulturell engagierte Bürger gesucht, die die historischen Grabstäten erhalten und damit dem Riensberger Friedhof seine Geschichte und sein ganz besonderes Flair bewahren. Dazu ergibt sich für mich die Frage: Wie finanziert sich ein städtischer Friedhof?

IG:

MW: Was ist wenn alle Plätze vergeben sind? Können Sie sich vorstellen, dass der Riensberger Friedhof in absehbarer Zukunft seine Pforten schließt?

IG: