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Geschichte des Projektes:
"gesICHter - Ein Beitrag zur Identität"

Skizze des Projektes

Anlage zum Gutachten über die Wertbestimmung von vier Videos über Bild-Gesichter und Wort-Zitate als ScreenArt aus diesem Projekt von Dr. Ingmar Lähnemann.

Im März 2006 startet Michael Weisser im Rahmen seines Langzeitprojektes "bremenANsichten" den soziokulturellen Kunstprozess "Casting - Dein Film ist Dein Leben!". Zielgruppe sind Jugendliche aus dem Bremer Stadtteil Huchting.

Schirmherr dieses soziokulturellen Projektes ist Christian Weber der Präsident der Bremischen Bürgerschaft. Im Verlauf der Aktion werden Jugendliche digitalfotografisch portraitiert und über Fragebogen zu ihrem Leben befragt. Das Ziel ist eine Ausstellung der Poirtraits und Zitate im Foyer der Bremischen Bürgerschaft

Ein leerstehendes Ladenlokal wird für die mehrmonatige Aktion in einem Huchtinger Einkaufszentrum im Einzugsbereich von drei Schulen gemietet und zu einem Fotostudio umgerüstet. Im Schaufenster wirbt ein Großbanner für das Projekt. Die Jugend des Stadtteils wird über Flyer in den Schulen und über die örtliche Presse angesprochen, sich bei diesem "Casting" zu beteiligen.

Der Andrang ist beträchtlich. Das temportäre Fotostudio wird zu einem Treffpunkt. Die Session beginnt damit, dass jeder Teilnehmer ab 18 einen Fragebogen ausfüllt und Auskunft über das gibt, was er gerade macht, was er gerne machen würde und was er gerne an sich verändern würde. Weiterhin notiert jeder in Stichworten seine Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Visionen. Teilnehmer unter 18 Jahren holen auf dem Fragenbogen die Erlaubnis ihrer Eltern ein.

Im Verlauf eines Gesprächs über die Antworten auf dem Fragebogen fotografiert Michael Weisser in entspannter Atmosphäre das "Alltagsgesicht" der Teinehmer. Ein Bild wird ausgewählt, ausgedruckt und im Atelier ausgehängt. So entsteht eine täglich wachsende Bildwand.

Interessierte Teilnehmer werden in einem zweiten Akt von professionellen Frisören und Stylisten optisch verändert und stehen erneut vor der Kamera. Auch diese Bilder werden im Studio ausgestellt und bieten Anlass für angeregte Diskusionen.

In EInzel- und Gruppengesprächen wird die Veränderung des Gesichtes und die daraus folgende Wirkung auf Selbstwertgefühl und Verhalten erörtert. Die Gespräche münden in die Frage, was Styling, Mimik und Gestik für die Identität und Selbstwertgefühl bedeuten und wie man einen Weg zwischen dem Anspruch an Arbeit, Freizeit, Familie, sowie gesellschaftlicher Position und wirtschaftlichem Erfolg erreichen kann. Als Kernkompetenzen ergeben sich Motivation, Neugierde, Ausdauer und Kreativität.

Im Dezember 2006 werden ausgewählte Bildportraits und Zitate verbunden, zu grossformatigen Postern gestaltet und in der Bremischen Bürgerschaft im Zentrum der Stadt ausgestellt. Die Ausstellung wird eröffnet durch den Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft als Schirmherrn und Prof. Dr. Hans Joachim Manske, als Direktor der Städtischen Galerie und Referatsleiter beim Senator für Kultur in Bremen.

Parallel zu dieser Ausstellung im geschlossenen Raum wird ein Video mit technisch raffinierten Film-in-Film-Sequenzen als Video von der Gruppe "URBANSCREEN" im Bremer "Viertel" (Ostertorsteinweg/Ziegenmarkt) in den Monaten November und Dezember als Großbild auf eine Hauswand projiziert. Der zehnminütige Film zeigt Menschen, die in diesem Viertel leben und arbeiten; dabei korrespondieren die Portraits mit den Zitaten.

Im Januar 2007 wird das Projekt wegen vieler Anfragen erweitert auf den Titel "Galerie Gesichter der Stadt". An verschiedenen Orten werden Menschen in Bremen fotografiert. Gespräche über Lebensgestaltung ergeben auch hier persönliche Zitate. Die Portraits werden jeweils an den Aktionsorten in einem Ladenlokal im Ostertor Steinweg (Viertel), in der Zentralbibliothek Bremen (City) sowie im Kulturbunker F38 (Schwachhausen)  in Ausstellungen gezeigt. Durch diese Standorte ergibt sich für das Projekt die angestrebte Mischung verschiedener sozialer Szenen, religiösen Glaubens, kultureller Herkunft, verschiedener Berufe und physischer Verfassung. Der Anteil von männlichen und weiblichen Teilnehmern ist ausgewogen. Ausdrücklich eingeladen werden Behinderte und soziale Randgruppen (Obdachlose, Drogenabhängige, Bettler, Straßenmusikanten, Punks etc.) sowie Prominente aus Politik, Wirtschaft und Kultur.

Terminplan Februar 2007 - 1

Terminplan Februar 2007 - 2
Terminplan März 2007 - 3

Mehr als 1.000 Menschen werden bei diesem Projekt im Verlauf von zwei Jahren fotografiert und befragt; es entstehen durch Inszenierung Bildserien mit mehr als 50.000 Fotos, sowie 3.000 persönliche Statements.
Gefördert wurde das aufwändige Projekt durch: Senator für Kultur Bremen, Bremer Landesbank, Karin und Uwe Hollweg Stiftung, Rudolf Alexander Schröder Stiftung, Landeszentrale für Politische Bildung, Kulturzentrum Lagerhaus, Literaturhaus Bremen, GEWOBA, Stadtteilbeirat Huchting, Roland Center, Stadtbibliothek Bremen und den privaten Förderer Ansgar Mattuschak.

Mit Förderung des Senators für Kultur Bremen und der Bremer Landesbank entsteht im Lesegarten der Zentralbibliothek am Wall in Bremen ein 5x8 Meter großes Bildfeld mit 850 Portraits. Die Einweihung durch den Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft und durch die Direktion der Stadtbibliothek Bremen erfolgt am 20.11.2007.

In der hachmann-edition erscheint im Jahr 2008 unter Förderung der Uwe und Karin Hollweg Stiftung die 112-seitige Publikation "gesICHter - Ein  Beitrag zur Ästhetik der Identität".

In seinem intermedialen Kunstprojekt "am:wort:ort"
- Bilder, Codes, Worte, Zeichen (1968-2011)" zeigt Michael Weisser in den Räumen der Zentralbibliothek am Wall von April bis Oktober 2012 zum 110-jährigen Bestehen der Stadtbibliothek Bremen seine "Hommage an das Wort".
Dabei wird alks 2.00x2.20 Meter großes Werk im Foyer der Zentralbibliothek ein Bildfeld mit 110 Zitaten aus dem Projekt "gesICHter" bleibend installiert und im April 2012 durch die Direktion der Bibliothek der Öffentlichkeit übergeben.
"Diese Zitate bilden einen authentischen Spannungsbogen zu den dazugehörigen Portraitfotos auf der Erdgeschossebene der Zentralbibliothek, dem Ort der Menschenworte in Bremen" (Weisser)

In seiner aktuellen Ausstellung "ich:meiner:mir:mich - analoge und digitale Identitäten" zeigt Michael Weisser als derzeit letzte seiner Aktionen aus dieser Werkserie im Bunker-D auf dem Campus der Fachhochschule Kiel in den Monaten September/Oktober 2012 eine Auswahl von Portraits und Zitaten aus seinem Projekt "gesICHter"

Aus diesem Potential der Portraits von Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, sowie unterschiedlicher sozialer Szene, kultureller Herkunft, religiösen Glaubens, Berufs und physischer Verfasstheit entstanden vier filmisch inszenierte Bildfolgen, die Gesichter und Zitate vorstellen. Diese Videos werden in Ausstellungen als Screen-Art oder als Groß-Projektion in- und outdoor präsentiert.

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Der Kurator Dr. Ingmar Lähnemann
(Edith Russ Haus, Oldenburg) schrieb über das Projekt in seiner Expertise vom 6.11.2010:

Casting wurde im Jahr 2006 als soziokulturelles Projekt mit 25 Jugendlichen in Bremen umgesetzt, die jeweils mit Fotografien und Zitaten zu ihrem eigenen Leben porträtiert wurden.

Michael Weisser gestaltete eine sehr offene künstlerische Aktion, indem er das Projekt mit drei Schulen gemeinsam durchführte und in einem angemieteten Ladenlokal umsetzte. Nach einer Ausstellung von Pos-
tern. die auf den Fotos und Zitaten beruhten, wurde das Projekt in das Videoformat überführt.

Zu einem Quadrat von fünf mal fünf Bildern angeordnet und im Wechsel von 16 unterschiedlichen Ansichten des jeweiligen Gesichts gezeigt. tritt je ein Bild einer Person formatfüllend in den Vordergrund. Vorname und Alter werden genannt,dazu ein maßgebliches Zitat, mit dem die Jugendlichen sich selbst charakterisierten.

Ein entscheidender Aspekt des Projekts ist die Möglichkeit der Jugendlichen, sich selbst zu inszenieren, Variationen ihrer Persönlichkeit unter professioneller Anleitung auszuprobieren und sich damit wie in einem Castlng zu verhalten, im Gegensatz zu den zu dieser Zeit populären Castingshows im Fernsehen hier jedoch eine Positionierung gemäß eigener Ansprüche einzunehmen und keine Rolle für die Öffentlichkeit spielen zu müssen.
Gerade in der Abfolge des Videos, das in seiner Form eher einer Porträtgalerie als einem linearen Film gleicht, ergibt sich ein exemplarischer, soziologischer Blick auf eine bestimmte Altersstufe und Generation, der gleichzeitig ein typisches Bild jugendlicher Kultur und eine individuelle Darstellung der einzelnen Personen liefert.

Mit der Überführung in das spezifische Videoformat ist es Michael Weisser gelungen, aus seiner temporären soziokulturellen Intervention ein fortdau-
erndes Kunstwerk zu schaffen.

Die Wertbestimmung der gutachterlich zu beurteilenden vier Videos basiert auf dem außergewöhnlich hohen Aufwand, der hinter dem Gesamtprojekt steht. Die Videos:

  1. "Casting", 2006 - ZKM-Inventar 0858
  2. "Gesichter", 2006 - ZKM-Inventar 0859
  3. "Ansichten", 2009 - ZKM-Inventar 0913 (schwarz/weiss)
  4. "WorteInGelb", 2009 - ZKM-Inventar 0913 (rot/gelb)


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